Griechenland

die MASKE – ohne Grenzen und Barrieren

Theaterprojekt bringt Vielfalt auf die Bühne

Was bedeutet Anderssein in der heutigen „Normal-Gesellschaft"? Vor allem Vielfalt! Und Gleichwertigkeit auf der Tanzbühne – beeindruckend dargebracht von Darsteller(inne)n des MASKE Ensembles.

13.08.2018 / Anja Hack

Die freiberufliche Wirtschaftsjuristin Anja Hack organisiert Know-how-Transfer und nachhaltigen internationalen Austausch auf vielfältigen Ebenen. Seit 2015 führte sie zahlreiche europäische und inklusive Jugendprojekte mit Deutschland und Griechenland durch.

Am 07. Mai 2018 führten 22 Youngster im Kölner Urania Theater die einstündige Tanzperformance „die MASKE - Exclusion. Equality. Identity.‘‘ auf. Das MASKE-Ensemble inszenierte den ewigen Kampf des Individuums mit den eigenen persönlichen Barrieren und konfrontierte die Zuschauer/-innen mit individuellem oder kollektivem Gerangel von Emotion, Einklang und Akzeptanz. Das Besondere an dieser einstündigen Performance: Das Ensemble setzte sich aus jungen Erwachsenen mit körperlicher und ohne körperliche Behinderung aus Griechenland, Polen und Deutschland zusammen.

Welche Möglichkeiten eröffnen sich, wenn Rollstühle nicht als Hindernisse, sondern als Bestandteil einer Choreographie begriffen und auch als solche inszeniert werden? Persönliche Rhythmen, Beats und Körpereigenschaften führen zu unterschiedlichsten Bewegungsarten und Ausdrucksmitteln. Die zarte bis kraftvolle Wirkung der Aufführung lag letztlich darin, wie sich die Gruppe in dem kreativen Prozess der Begegnungen selbst erfahren konnte und wie sie auch von dem Publikum wahrgenommen wurde.

Der Blick hinter die Kulissen

Nach dem ersten deutsch-griechischen Projekt „die MASKE| MASKEN ÜBERWINDEN BARRIEREN" 2015 war es 2017/2018 Zeit für eine Neuauflage: „die MASKE | OHNE GRENZEN UND BARRIEREN". Das Schlüsselthema des Projekts ist die Auseinandersetzung mit Ausgrenzung und Identität. „die ΜΑSΚΕ" thematisiert aber auch die Bereiche Inklusion und Implementierung gleicher Rechte und Möglichkeiten. Gemeinsames Ziel war es, eine Performance zu erarbeiten und im Rahmen des Sommerblutfestivals in Köln öffentlich aufzutreten. Das Sommerblut versteht sich als inklusives Kulturfestival, das die unterschiedlichen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Standpunkte und Identitäten miteinander verbindet. Schwerpunkt des diesjährigen Festivals war der „Körper“.
 
Die Herausforderung des dreiteiligen Jugendprojekts bestand darin, eine Teilhabe aller zu ermöglichen, unabhängig von den individuellen Besonderheiten. Die heterogen inklusive Gruppe war sich zu Beginn des dreiteiligen Jugendprojekts überwiegend fremd und bestand aus vielen verschiedenen Gruppierungen aus drei Ländern. Der Titel des Projektes „OHNE GRENZEN UND BARRIEREN“ lässt die Herausforderung erahnen.

Der Projektzeitraum selbst belief sich auf über 12 Monate. Die erste Begegnung fand vom 5. bis 11. August 2017 in Komotini, Griechenland, statt. Die Teilnehmenden und ihre Betreuer/-innen lernten sich durch Tanz-, Theater-, Kunst-Workshops und gemeinsame Outdoor-Aktivitäten besser kennen und bauten über Ländergrenzen hinweg erste Freundschaften auf. Highlight war ein Tanz-Flashmob in der Fußgängerzone. Vom 10. bis zum 16. Februar 2018 wurde die 34-köpfige Gruppe in der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung in Krzyżowa, Polen, beherbergt. Die intensiven Workshops bauten auf den wertvollen Erfahrungen von 2017 auf. Ergebnis der zweiten Maßnahme war die Erarbeitung der Struktur der Tanz-Performance, die vom 04. bis zum  09. Mai 2018 in Köln geprobt, intensiviert und aufgeführt wurde.

Der Erfolg des inklusiven Projektes beruht auf klaren Ausrichtungen und beschreibt einen Ansatz, der im Wesentlichen auf der Wertschätzung der Vielfalt beruht. So wurden im Vorfeld von den Partnern wesentliche Punkte und Voraussetzungen definiert. Diese umfassten neben Barrierefreiheit, Interkulturalität, erlebnisorientiertem Lernen auch die demokratische und gleichberechtigte Partizipation. Der theater- und tanzpädagogische Prozess selbst eröffnet Lernfelder, die Teilnehmende in ihrer persönlichen und gruppenstrukturellen Entwicklung fordern und fördern, aber auch dies wurde nicht dem Zufall überlassen sondern aufgrund von täglichen Feedbackrunden konstant evaluiert. Durch Methoden der non-formalen Bildung wurden Unterschiede und Gemeinsamkeiten prozessorientiert, konstruktiv und bereichernd genutzt. Dazu gehörten die Betonung der Verschiedenheit, das Empowerment und die Energie und Fantasie in der Gruppe.

„Aufgabe des Programms war es, jegliche Art von Kunst zusammen zu nutzen, um eine Performance in Deutschland aufzuführen. Es galt zu beweisen, dass Menschen, egal welchen Hintergrundes, Fähigkeit, Nationalität, marginalisiert oder normal, wie man sagen kann, zusammenarbeiten und etwas erschaffen können. Kunst schaffen… Kunst kennt keine Barrieren... Wir wussten, was die Probleme sein werden, bevor wir dort ankamen; und wir waren entschlossen, sie alle zu überwinden. Wir arbeiteten in einer außergewöhnlichen Weise zusammen … und befanden uns außerhalb unserer Komfortzone… Dabei geschah etwas Erstaunliches und Unerwartetes, ich fand wahre Freunde: Menschen, die mich inspirieren, Menschen, die mich glücklich machen, Menschen, die mir das Gefühl geben, sie schon Jahrzehnte zu kennen, obwohl es eigentlich nur Tage waren.“ (Spyros Dadanidis, The Journey of our Masks 2017-2018, Video-Dokumentation)

Das MASKE-Jugendtheater für Alle war als Veranstalter im Sommerblut verantwortlich für alle Teilarbeiten rund um die Aufführung. Die Spannweite reichte von der Choreographie selbst über Bühne, Requisite, Video-Installation bis Ton- und Lichttechnik. Für alle Beteiligten galt: Kreativität nonstop. Es wurden Themen der Performance diskutiert, Tanz-/Theater- und Bewegungseinheiten geplant und umgesetzt, sowohl in Gruppen als auch Duetts, am eigenen Stil experimentiert, Reihenfolge der Szenen festgelegt, Musiken ausgesucht, Videos gedreht oder fotografiert und zusammengeschnitten, Requisite und Kostüm entworfen, eigene Masken kreiert, Tanzboden verlegt, Beleuchtung und Vertonung ausprobiert. Aber auch in der freien Zeit zusammen musiziert, gechillt, getanzt oder gerappt. Die Teilnehmenden kommunizierten eigenständig mit Hilfe digitaler Medien, sprich projekteigener Facebook- oder Whatsapp-Gruppen.

Die professionelle Anleitung der Performance und letztendlich die Choreographie selbst konnte nachjustiert werden und den Teilnehmenden konnte mehr Raum geboten werden, eigene Ideen und Lebenswelten einzubringen, umzusetzen und authentischere Szenen zu gestalten. Einzelne Teilstücke wurden durch die nationalen Gruppen vor Ort in Deutschland und Griechenland weiterentwickelt, um die zeitliche Vorgabe von 60 Minuten Performance zu füllen. Die Kooperation untereinander und zwischenzeitlich machte aber an Ländergrenzen keinen Halt: Integriert wurden neben einer Video-Kurzdoku auch Poetry, Live-Gesang, Hip-Hop und Rap in gemischten Teams. Die vielfältige Expertise der Mitwirkenden, der Betreuer/-innen und der Teilnehmenden und ihre unbändige positive Energie trugen zum Gelingen des Projektes und der Aufführung bei.

Das Finden einer gemeinsamen Sprache sei hier gerne als eigener Prozess genannt. Übersetzungen in Deutsch, Griechisch, Polnisch und Englisch sollten die gleichberechtigte Beteiligung sicherstellen, schnürten aber der Erarbeitung der Performance einen straffen Zeitgürtel. Ebenso hinderten sie eigentlich die direkte Kommunikation untereinander. Viele der Teilnehmenden sprachen kein oder nur wenig Englisch. Hier kamen innovative Formate in der Arbeit mit inklusiven Gruppen, sprich spielerische, szenische und vor allem non-verbale Übungen zum Einsatz. Frei nach dem Motto „Man kann nicht nicht kommunizieren“ wurden kulturellen Unterschiede und Sprachvielfalt akzeptiert, um in einen Prozess des Sich-Vertrauens überzugehen. Und es fielen sehr schnell die Hemmungen, sich gemeinsam (und auch mit leichter Sprache) untereinander zu verständigen.

Als weitere Projektgrundlage galt die Gewährleistung der barrierefreien Settings als Rahmen aller kreativen Aktivitäten, wie Auswahl von rollstuhlgerechten Räumlichkeiten, Unterkunft, Transport bzw. Fortbewegung. Und räumliche Barrieren tauchten auf – da, wo sie gerade nicht erwartet wurden. Nach zwei Begegnungen in Griechenland und Polen, die allen Teilnehmenden ein selbstbestimmtes Handeln ermöglichten, führte die fehlende Barrierefreiheit des Aufführungsortes in Köln, und dies im Rahmen eines Inklusionsfestivals, nicht nur zum „Heben der Augenbraue“. Die Probleme Eingangsstufen, nicht zugängliche Garderobe und fehlende Behindertentoilette konnten von dem MASKE-Ensemble mit gegenseitiger Hilfe und positiver Einstellung überwunden werden, hatte sie doch ein gemeinsames Ziel: die Aufführung ihrer Performance. Man behalf sich mit mobilen Rampen an allen Eingängen. Zitiert sei an dieser Stelle das deutsche BGG: „Barrierefrei sind Anlagen… wenn sie für Menschen mit Behinderungen … grundsätzlich ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ Spätestens hier wurde klar, auch Deutschland ist nicht das Land, in dem Barrierefreiheit wie Milch und Honig fließt. Und es vor allem der inklusiven Kultur immer noch an Unterstützung fehlt.

Epilog „der ΜΑSΚΕ"

Das Experimentieren mit einer Vielfalt von Ausdrucksformen wie Bewegung und Tanz, Theater, Gesang, bildende Kunst und Video Installation eröffnete den Teilnehmenden „der ΜΑSΚΕ" die Möglichkeit, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken und das kreative Potential einer Gemeinschaft zu erleben, die Individuen in ihrer Vielfältigkeit und Andersartigkeit respektiert. Die Erfahrungen des Projektes haben gezeigt, dass durch das intensive Arbeiten und Reisen in drei Länder sowohl das Team, die Betreuer/-innen als auch die Teilnehmenden ein Stück weit aus ihrer Komfortzone herausgekommen sind.
 
Das Schaffen gemeinsamer diversitärer Erfahrungswelten basiert immer auch auf der Erkenntnis, dass Inklusion ein Menschenrecht ist. Und als Menschenrecht geht Inklusion alle Menschen an, nicht nur diejenigen, die ausgeschlossen sind. Inklusion bedeutet Vielfalt, heißt aber auch Zugehörigkeit -  und Zugehörigkeit entsteht durch Sich-Kennenlernen und Austauschen auf gleicher Augenhöhe. Es gilt daher nach wie vor und mehr denn je, den Begriff Inklusion mit Lebendigkeit und ehrlicher Akzeptanz zu füllen, eine gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung aller zu ermöglichen und vor allem diesbezügliche Verständnisbarrieren in unseren Köpfen zu überwinden.

Hintergrund

„die MASKE - Jugendtheater für Alle“ ist eine Kooperation der gemeinnützigen Vereine PERPATO, FAR und POP e.V. Das Recht von Mitmenschen mit körperlicher Behinderung auf Teilnahme an einer Vielfalt von Freizeitbeschäftigungen, selbstbestimmte Lebensgestaltung, Ausbau der Barrierefreiheit und Inklusion sind Eckpunkte des 2002 gegründeten griechischen Vereins PERPATO. Die polnische Vereinigung für Aktive Rehabilitation FAR, auf Initiative von Rollstuhlfahrer(inne)n für Rollstuhlfahrer/-innen gegründet, führt seit 1988 ein umfassendes Programm zur gesellschaftlichen und beruflichen Eingliederung von körperlich eingeschränkten Personen durch. Die Initiativgruppe Griechische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland e.V., kurz POP genannt, wurde 1983 gemeinsam von Griech(inn)en und Deutschen gegründet mit dem Ziel, ein besseres gegenseitiges Kulturverständnis zu fördern.

Das Projekt der drei Jugendbegegnungen 2017/2018 in Griechenland, Polen und Deutschland wurde gefördert im Programm EUROPEANS FOR PEACE:DISCRIMINATION. WATCH OUT! der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ). Weitere Unterstützung erhielten die Begegnungen in Komotini, Krzyżowa und Köln durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Deutsche Generalkonsulat Thessaloniki und das Deutsch-Polnische Jugendwerk.

Mitwirkende

Projektleitung: Anja Hack | Choreographie: George Christakis in Kooperation mit Sarah Schuhmacher, Venetia Laskaridi | Visual Arts: Helena Katsiavara | Video: Spyros Dadanidis/Tomasz Jimmy Kowalski | Projekt Assistenz: Ioanna Koutras

Projekt Webseite: www.maske-jugendtheater.net

Weiterführende Links:

Griechenland-Special 2018

Fakten, Förderung, Kontakte

Inklusion

Berufliche Bildung und Orientierung

Flucht und Migration

Sprachanimation

Erinnerungsarbeit

Kirchliche Jugendarbeit

Schule