Griechenland

Inklusive Praxis im deutsch-griechischen Jugendaustausch

Ein Workshopbericht

Beim Fachtag „Inklusion im deutsch-griechischen Jugendaustausch“, der am 9. und 10. November 2017 in der neuen inklusiven Jugendherberge in Bayreuth stattfand, moderierten Anja Hack und Christof Kriege den Workshop „Inklusive Praxis im deutsch-griechischen Jugendaustausch“. In diesem Beitrag erörtern sie die Erfordernisse einer inklusiven internationalen Jugendarbeit und befassen sich damit, wie eine inklusive Praxis erreicht werden kann. Denn in der Realität sehen sich behinderte junge Menschen in den Angeboten der internationalen Jugendarbeit immer noch mit einer Vielzahl von Barrieren konfrontiert und sind in ihren Teilhabemöglichkeiten benachteiligt.

13.08.2018 / Christof Kriege und Anja Hack

Anja Hack ist freiberufliche Wirtschaftsjuristin. Sie organisiert vielfältigen Know-how-Transfer und nachhaltigen internationalen Austausch auf verschiedenen Ebenen. Seit 2015 führt sie zahlreiche inklusive europäische Jugendbildungsprojekte mit deutschen und griechischen Partnern durch.
Christof Kriege war zum Zeitpunkt des Workshops „Inclusion Officer“ und Programmreferent bei JUGEND für Europa, Nationale Agentur für das Aktionsprogramm Erasmus+ JUGEND in Aktion.

Das Wort Inklusion ist seit der Ratifizierung der Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK) in aller Munde. Im Sinne eines inklusiven Verständnisses ist es normal, verschieden zu sein. Die Herausforderung besteht darin, den gesellschaftlichen Kontext so zu verändern, dass eine Teilhabe aller möglich ist - unabhängig von Einschränkungen, individuellen Besonderheiten, sozialem Hintergrund, Geschlecht, Religion oder Hautfarbe. In Art. 24 wird das Recht auf Bildung genannt. Die Vertragsstaaten gewährleisten ein inklusives Bildungssystem und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, u.a. die Achtung vor den Menschenrechten und der menschlichen Vielfalt zu stärken. Gut funktionierende inklusive Schulsysteme liegen noch in der Zukunft, aber inklusive und gut aufgestellte außerschulische Bildungsaktivitäten bieten jetzt schon die Chance, gemeinsame Erfahrungswelten zu vermitteln.

Angebote für Alle gestalten

Spätestens seit 2009 gibt es in Deutschland den gesetzlichen Rahmen für ein inklusives Bildungssystem – also auch im non-formalen Bereich. Es besteht für junge Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung der Anspruch auf Teilhabe an den Angeboten der Internationalen Jugendarbeit. Viele Programme, Projekte und Maßnahmen, zum Beispiel im Bereich von demokratischer Bildung, interkulturellem Lernen oder der Friedensarbeit, widmen sich hier schon dem Thema Vielfalt. Während es allgemein bei Inklusion um Strukturen geht, die es zu verändert gilt, werden bei Inklusionsprojekten konkrete Zielgruppen angesprochen und eingebunden. Und hier liegt das Problem: Die Herausforderung besteht gerade nicht in der Öffnung von bestehenden Programmen, damit benachteiligte Jugendliche „mitmachen“ können. Der Schwerpunkt liegt hier ganz klar auf der Metaebene der Projektarbeit. Dies bedeutet Gestaltung von inklusiv anspruchsvollen und attraktiven Angeboten für Alle und eine Anpassung von non-formalen Bildungsmethoden, inklusiven Standards und natürlich der Barrierefreiheit.

Denn: Auch wenn die Internationale Jugendarbeit eigentlich als Angebot allen Jugendlichen zur Verfügung steht, sind in der Realität benachteiligte oder behinderte Jugendliche kaum präsent. Insgesamt gibt es für Menschen mit Behinderung kaum Zugang zu internationalen Erfahrungen in heterogen inklusiv gestalteten außerschulischen Gruppen. Junge Menschen z.B. mit Behinderung neigen dazu, zurückhaltend auf Angebote zu reagieren, bei denen Umgebung und Programm nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Gründe dafür gibt es viele: Die Jugendlichen sind mit einer Vielzahl von Barrieren konfrontiert, die sie an der Partizipation hindern. Oder sie fühlen sich nicht angesprochen oder sie sind nicht informiert, so dass die Bildungsangebote für sie keine Relevanz haben. Oder es bestehen schlichtweg Zugangsbarrieren und fehlende Anpassungen auf ihre individuellen Bedürfnisse. So stellen mobilitäts- oder aktivitätseingeschränkte Jugendliche natürlich spezifischere Anforderungen an die einzelnen Programmsegmente und vor allem die barrierefreien Settings.

Die Synergie Internationalität-Inklusion in der nichtformalen internationalen und europäischen Jugendarbeit steht somit vor Herausforderungen. Im Bereich Kultur, Sport und Politische Bildung können interessante Angebote und Begegnungen gestaltet werden, die sich sowohl an gesellschaftsrelevanten Fragestellungen als auch an den Interessen der jugendlichen Zielgruppen selbst orientieren. Durch gut geplante inklusive internationale Projekte kann soziales Engagement gefördert werden und eine Basis geschaffen werden für gelebte Vielfalt, die die Meinungen und Lebenswelten der Teilnehmenden selbst widerspiegelt.

Der Workshop „Inklusive Praxis im deutsch-griechischen Jugendaustausch: Konzept, Umsetzung und Evaluation“

Hier setzte der Workshop „Inklusive Praxis im deutsch-griechischen Jugendaustausch: Konzept, Umsetzung und Evaluation“ an und richtete sich an Praktiker/-innen im Feld der internationalen Jugendarbeit. Im Austausch, insbesondere in der kollegialen Beratung, wurden praktische Elemente des internationalen Jugendaustauschs hinsichtlich eines inklusiven Rahmens/einer inklusiven Gestaltung diskutiert. Es wurden von den Moderatoren einzelne Hilfsmittel und auch Beispiele guter Praxis vorgestellt. In Anlehnung an das Modell „Index for Inclusion“, Booth & Ainscow1, wurden konzeptionelle, methodische, fördertechnische und ganz praktische Erfordernisse einer inklusiven internationalen Jugendarbeit herausgearbeitet. Der „Index für Inklusion“ gilt als Leitfaden für die gemeinsame Schulentwicklung auf der Basis inklusiver Werte. Durch die gemeinsame Darstellung von inklusiver Kultur, inklusiver Struktur und inklusiver Praxis half er den Workshop-Teilnehmenden, Barrieren und Ressourcen für Lernen und Partizipation zu identifizieren.

Darauf aufbauend wurden im zweiten Teil des Workshops „Konzeption, Methodik und Praxis“ die inklusiven Rahmenbedingungen, die Förderung samt zusätzlicher finanzieller Unterstützung, die inhaltlichen aber auch organisatorische Reise- und Ablaufplanungen und die barrierefreien Programmaktivitäten anhand von Praxisbeispielen durchgegangen. Dabei wurden folgende Fragestellungen behandelt:

Inklusive internationale Jugendarbeit planen

Die Ansätze inklusiver Praxis beziehen sich oft auf den schon erwähnten, von Tony Booth und Mel Ainscow, entwickelten „Index for Inclusion“. Dieser Index verwendet den Begriff Inklusion und umfasst damit formal die Bildung aller jungen Menschen. Er bietet insbesondere auch in der nichtformalen interkulturellen Bildung eine ganz praktische Unterstützung von Reflexionsprozessen und Entwicklungsplanungen, indem er die Sichtweisen des beteiligten Umfeldes einbezieht. Damit unterstützt er in einer strukturierten Umsetzung die detaillierte Analyse, bestehende Lern- und Beteiligungsbarrieren aufzudecken und die Teilhabe aller jungen Menschen zu ermöglichen. Der Index versteht sich als Hilfsmittel zur Entwicklung eines inklusiven Leitbildes, indem die operative Umsetzung das Augenmerk auf Werte und auf die Bildungs- und Lernbedingungen legt. Im Sinne der freireischen Pädagogik fördert die operative Anwendung des Index die Beteiligung junger Menschen als Agierende. Der Index for Inclusion (in Deutschland u.a. von der Montag Stiftung2 etabliert) umfasst in der operativen Umsetzung drei Dimensionen der Planung von inklusiver internationaler Jugendarbeit:

Schaffung inklusiver Kulturen

Das Ziel ist, Gemeinschaft herzustellen und inklusive Wertvorstellungen auszuprägen. Avisiert wird die Veränderung von Einstellungen und Haltungen, von Barrieren im Kopf und im Herzen, um eine umfassende Bewusstseinsbildung in der Mehrheitsgesellschaft einzuleiten.

Etablierung inklusiver Strukturen

Das Ziel ist, u.a. Angebote internationaler, europäischer Jugendbildung zu entwickeln, an der alle jungen Menschen teilhaben können. Dazu ist es notwendig, bestehende Barrieren zu erkennen und abzuschaffen. Es werden möglicherweise Hilfen für die gemeinsame Kommunikation benötigt und der Umsetzungsort muss so beschaffen sein, dass er allen jungen Menschen zugänglich ist.

Entwicklung inklusiver Praktiken

Das Ziel ist, u.a. Angebote internationaler, europäischer Jugendbildung so zu gestalten, dass sie Inklusion fördern, darüber, dass sie Menschen mit Behinderungen einbeziehen oder altersgemischte und generationenübergreifende Elemente beinhalten.

Die Orientierung internationaler Jugendbildung an diesen drei Dimensionen ist wesentlich, um am Ende eine inklusive Praxis zu erreichen. Inklusion ist kein Zugeständnis, sondern ein Rechtsanspruch.

Zu beachten ist …

Internationale, europäische Jugendarbeit ist zugleich interkulturelle und jugendpolitische Bildung für alle jungen Menschen. Das vielfältige Mit- und Füreinander eines internationalen Settings wird von jungen Menschen als bereichernd und wertvoll empfunden und die erfahrene Praxis stärkt umgekehrt die Ausprägung von inklusiver Haltung, Lebenseinstellung und –praxis. Im Rahmen von internationaler, europäischer Jugendarbeit erweitert diversitätsorientierte Jugendbildung somit ein interkulturelles Lernen, das stark auf ein Lernen entlang von national oder kulturell determinierten Differenzlinien ausgerichtet ist, und dies mehrperspektivisch.

1 s.a.: Tony Booth/ Mel Ainscow:  „Index for Inclusion“, developing learning and participation in schools, 2002, (Centre for Studies on inclusive Education), ↘ www.eenet.org.uk/resources/docs/Index%20English.pdf

2 "Inklusion ist machbar!", Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Bonn (Hrsg.), ISBN 978-3-7841-2984-6

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