Griechenland

„PERPATO“ im deutsch-griechischen Jugendaustausch

Ein Verein stellt sich vor

Die Bewegungsstörung eines Menschen kann nicht nur seine Funktionsfähigkeit, sondern auch sein alltägliches Leben beeinflussen. Entsprechende individuelle Anpassungen können gering sein oder aber auch so gravierend, dass der Unterschied radikal ist. Dieser Unterschied wird in der Sozialwirtschaft und in anderen Zusammenhängen als Behinderung bezeichnet. Mit der körperlichen Behinderung wird man konfrontiert, an die Funktionsstörung und die Mobilitätseinschränkung allerdings kann man sich anpassen. Genau hier setzen die Philosophie und Interessen eines Vereins von Menschen mit körperlichen Einschränkungen und Freunde an namens PERPATO, der seinen Sitz in Komotini hat und sich nicht nur in ganz Griechenland, sondern auch auf europäischer Ebene aktiv entfaltet.

13.08.2018 / Alexander Taxildaris und Spyros Dadanidis

Alexander Taxildaris ist Paralympics-Sieger (Silber) im Schwimmen, Rehabilitationsarzt im Krankenhaus KAT und Präsident von „PERPATO“.
Spyros Dadanidis ist Absolvent BA Film (Hons) an der Kingston University London, Student der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Demokrit-Universität in Thrakien und Tetraplegiker aufgrund spinaler Muskelatrophie. Er ist ehrenamtliches Vereinsmitglied von „PERPATO“.

PERPATO wurde 2002 in Komotini von einer Gruppe Personen gegründet, die ein Defizit in ihrer Stadt und zugleich in ihrer Gesellschaft entdeckten und beschlossen, dieses zu beheben. Sie begannen, die für Rollstuhlfahrer/-innen schwer zugänglichen Infrastrukturen und Straßen in barrierefreie Zonen umzuwandeln und entwickelten Schulungsprogramme für körperlich Behinderte und ihre Assistent(inn)en mit Schwerpunkt Sport, berufliche und soziale Rehabilitation, selbstbestimmte Lebensführung und Aufklärung bezüglich der Rechte von Behinderten. Infolgedessen wurde der Behindertensportverband „Irodikos“ gegründet, der zunächst Menschen mit Behinderung aus Komotini und später aus ganz Griechenland den Zugang zum Leistungssport ermöglichte und ihnen mit Sport als Mittel der Rehabilitation zu sportlichen Auszeichnungen und schnellerer Integration auf vielen Ebenen verhalf. In der Folge wurde „K.E.A.D.A.“ als Trainings- bzw. Bildungszentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen gegründet mit dem Ziel sowohl PERPATO-Mitgliedern als auch externen behinderten Personen, soweit sie den Willen hatten, die Möglichkeit zu eröffnen, ein Optimum an Autonomie zu erreichen. In diesem Rahmen konnten zahlreiche barrierefreie Angebote entwickelt werden, zum Beispiel ganzjährige Hydrotherapie Schwimmbad/offenes Meer oder die Teilnahme an Erholungsaktivitäten wie Kanu/Kajak, Kite surfing, Reiten u.v.m.

Auf Basis der oben genannten Unternehmungen wurde ein Engagement im Ausland in Form eines aktiven Erfahrungs- und Wissensaustauschs mit Institutionen und Experten beschlossen, im speziellen auf dem Gebiet des internationalen Jugendaustauschs. PERPATO möchte Erfahrungen aus der inklusiven Bildungsarbeit teilen und Raum für Austausch anbieten, damit auch und gerade Jugendlichen mit geringeren Chancen in Begegnungsprojekte eingebunden werden. In der Folgezeit besuchten deutsche auf Behinderung spezialisierte Fachleute, Student(inn)en, Behinderte, aber auch Personen, die sich im Vorfeld mit dieser Thematik noch nicht beschäftigt hatten, die Einrichtungen von PERPATO. Das Personal und die freiwilligen Helfer(inne)n des Vereins stellten gerne ihre Aktivitäten und Schulungsprogramme vor. Der konkrete Austausch mit Multiplikatoren und deutschen Institutionen/Vereinen legte die Grundlage für themenbezogene und nachhaltige Projekte. Im Folgenden werden einige dieser Projekte vorgestellt.

Das Jugendaustauschprogramm „die MASKE - η ΜΑΣΚΑ"

„PERPATO“ organisierte 2015 und 2017/18 mit verschiedenen Partnern die Jugendbegegnung „die MASKE - η ΜΑΣΚΑ" mit dem Ziel, marginalisierte Jugendgruppen in den Bereich der inklusiven Kultur zu integrieren und ihnen einen Zugang zu internationalen Jugendbegegnung zu öffnen. Dabei wurden verschiedene Formen der Kunst genutzt wie Theater, Tanz, Bildende Kunst, Video/Fotografie und Musik.

Das Projekt der Jugendbegegnung 2017/2018 in Griechenland, Polen und Deutschland wurde gefördert im Programm EUROPEANS FOR PEACE:DISCRIMINATION. WATCH OUT! der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ). Partnervereine waren die POP e.V. aus Deutschland und die FAR Polen, die Projektleitung übernahm Anja Hack. Es nahmen 21 Teilnehmer/-innen zwischen 16 und 21 Jahren aus Griechenland, Deutschland und Polen aus allen gesellschaftlichen Gruppen und mit unterschiedlichen körperlichen Behinderungen teil, um als Amateure/Amateurinnen und mit vereinten Kräften einem interessierten Publikum eine professionelle Performance zu präsentieren. Die Teilnehmer/-innen wurden zusammen mit ihren Betreuern für jeweils für eine Woche in jedes Land eingeladen, um dort künstlerisch aktiv zu werden und zusammen eine Gesamt-Choreographie einzustudieren. In Köln wurde die Performance dann auf dem Sommerblut Festival öffentlich aufgeführt. Die Teilnehmer/-innen übernahmen im Rahmen des Programms selbst die Organisation der Veranstaltung, unabhängig davon, ob sie behindert sind oder nicht, und gestalteten eine vielfältige und eindrucksvolle Tanzperformance. Einen lebendigen Einblick in die Programmgestaltung bietet die Kurzdokumentation ‚The Journey of our Masks 2017-2018‘, in dem ein Teilnehmer von seinen persönlichen Erfahrungen berichtet. Künftig soll das Projekt MASKA weitergeführt und alle zwei Jahre ausgetragen werden.

Außerschulische Bildungsprogramme in Zusammenarbeit mit Deutschland

Seit 6 Jahren veranstaltet PERPATO Ende Mai in einem Kinder/Jugendlager auf der griechischen Insel Thassos Inklusionscamps für junge behinderte und nichtbehinderte Studenten-/Innen und Schüler-/Innen zum Thema körperliche Einschränkung und autonome Lebensgestaltung. Seit 2016 nehmen an dem Inklusionscamp auch deutsche Physiotherapieschüler-/Innen der Akademie der Physio- und Ergotherapie der St. Elisabeth Gruppe – Katholische Kliniken Rhein-Ruhr unter der Leitung von Beate Stock-Wagner aus Herne teil. Die Finanzierung der Jugendbegegnungen erfolgte über das Sonderprogramm Griechenland, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In diesen drei Jahren haben die Physioschüler-/Innen Mitmenschen mit körperlicher Behinderung nicht nur als Patient(inn)en, sondern vor allem als Menschen, Schüler/Student, Berufstätige, Bürger/-innen etc. kennengelernt. Durch die Zusammenarbeit mit den deutschen Teilnehmer/-innen wurde nicht nur praktisch voneinander gelernt, ein aktiver deutsch-griechischer Austausch mit vielen gemeinsamen Aktivitäten betrieben, sondern auch die Auswirkungen, die eine körperliche Behinderung im Alltag und in einer Jugendbegegnung mit sich bringt, praxisnah kennengelernt. Ein Gegenbesuch von Mitarbeiter/-innen des Vereins und griechischen Studenten-/Innen und Schüler-/Innen in der Physioeinrichtung Herne ist in der Planung, Thema ist ein Praxis-Jugendaustausch im Bereich Rehabilitation.

Seit 2016 ist PERPATO Erasmus+ Partner der deutschen Kreisau Initiative e.V. und nimmt seitdem durchgehend mit körperlich behinderten und nichtbehinderten Jugendlichen an Building Bridges_Inklusiven internationalen Jugendbegegnungen in Polen teil. Schon 2016 konnte PERPATO in einem Kreisauer Modell_Fachkräfteaustausch zu dem Thema Inklusion: Sport und Tanz sein Fachwissen im Bereich der Inklusiven Sportpädagogik an internationale Fachkräfte vermitteln. Nunmehr im zweiten Jahr wurde 2018 ein internationaler inklusiver Jugendaustausch Building Bridges mit vier weiteren Ländern unter der Leitung von Elli Kosek, Kreisau Initiative e.V., auf der Insel Thassos durchgeführt. Für 2018/2019 ist eine Erasmus+ Trainingsreihe Kreisauer Modell im Bereich der non-formalen Inklusionspädagogik für internationale Fachkräfte, Pädagogen, Multiplikatoren in Griechenland geplant, welche sich u.a. mit den Themen Sport, Kunst, Theater, Tanz beschäftigen wird. PERPATO wird ein Training mit Schwerpunkt Inklusiver Sport und Tanz in Komotini beherbergen.

Teilnahme an Fachveranstaltungen

PERPATO war 2015 Mitorganisator der ersten deutsch-griechischen Konferenz „Tourismus Barrierefrei: Impulse, Herausforderungen“, einer zweitätigen Tagung & Praxis-Workshop in Komotini und brachte die barrierefreie Stadt als Best Practice Beispiel einem deutschen und griechischen Expertenkreis näher.

Mitglieder des Vereinsvorstands, Mitarbeiter/-innen und Ehrenamtliche haben 2015 und 2016 PERPATO bei der internationalen Fachmesse für Rehabilitation und Pflege RehaCare in Düsseldorf vertreten. An dem PERPATO Stand stellten sie den Besucher(inne)n ihre Vereinsaktivitäten vor und wandten sich dabei vor allem an körperlich Behinderte, um ihnen Griechenland als barrierefreies Urlaubsland vorzustellen bzw. näherzubringen. Die Vertreter/-innen des Vereins hatten im Rahmen der Fachmesse die Gelegenheit, ihren Wissenshorizont bezüglich jeder Art von körperlicher Behinderung zu erweitern.

Fachtag Inklusion im Deutsch-Griechischen Jugendaustausch

Der Verein PERPATO wurde als griechischer Vertreter zum zweitägigen Fachtag „Inklusion im Deutsch-Griechischen Jugendaustausch“ eingeladen, organisiert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und IJAB in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendherbergswerk, um seine zahlreichen Aktivitäten im Hinblick auf die Inklusion von jungen Menschen mit Behinderung vorzustellen und inklusionspädagogische Instrumente praktisch vor Ort anzubieten. Es wurden paraolympische Sportarten als Aktivitäten für Teilnehmer/-innen  des Fachtages von dem Präsidenten Alexander Taxildaris und den Vereinsmitarbeitern Stylianos Laparidis und Anja Hack organisiert. Aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse verlegte man diese Aktivitäten jedoch in die Gemeinschaftsräume der Jugendherberge. Am ersten Tag stellte der Vereinsvorsitzende die Aktivitäten des Vereins in Griechenland und im Ausland vor und bezog sich dabei auch auf die Teilnahme von PERPATO bei europäischen Programmen wie Erasmus+ JUGEND in Aktion. Am zweiten Tag, präsentierte die Vereinsgruppe ein interaktives Instrument zur Integration eines schulischen Paraolympischen Tages. Aus Zeit- und Platzgründen konnte nur ein Teil des Programms, d.h. zwei paraolympischen Disziplinen Boccia und Goalball, vorgestellt werden. Beide Sportarten sind sowohl für Kinder mit schwerer körperlicher Behinderung, Sehbehinderung aber auch für Personen ohne jegliche Behinderung geeignet. Es beteiligten sich alle Teilnehmer/-innen des Fachtages und die Aktion verlieh der Veranstaltung eine belebende Note.

Das neue und funktionelle Gebäude mit hochgradiger Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung setzte das Fundament für den Erfolg des zweitägigen Fachtages. Die Unterbringung in der Jugendherberge und die Gastfreundschaft waren hervorragend. Zudem waren alle Beiträge der Teilnehmer/-innen überaus informativ und die Umsetzung der Workshops sorgte dafür, dass das neue Wissen nicht nur theoretisch bleibt.

Griechenland-Special 2018

Fakten, Förderung, Kontakte

Inklusion

Berufliche Bildung und Orientierung

Flucht und Migration

Sprachanimation

Erinnerungsarbeit

Kirchliche Jugendarbeit

Schule