Gruppe von Menschen redet, symbolisch dafür stehen Sprechblasen Gruppe von Menschen redet, symbolisch dafür stehen Sprechblasen
Jahrestagung „Fachkräfte im Blick”

Praxis und Wissenschaft im Gespräch

Barcamp greift aktuelle Entwicklungen und Themen auf

Corona-Pandemie, Digitalisierung, jugendgerechte Beteiligungsformen und das Bemühen um inklusive Ansätze in allen Bereichen: Die internationale und europäische Jugendarbeit stellt sich den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Junge Menschen brauchen Perspektiven, die Politik, nicht nur in Deutschland und Europa, ist aufgefordert, Wege aus der Pandemie konsequent und nachhaltig zu fördern. Diese und weitere Themen standen im Mittelpunkt des Barcamps „Fachkräftequalifizierung Jugendarbeit international“ am 19. Januar 2022, das von IJAB und JUGEND für Europa veranstaltet wurde.

02.02.2022 / Frank Peil, Johanna Adrian, Rita Bergstein, Kerstin Giebel

Bereits zum vierten Mal bildete das Barcamp „Fachkräftequalifizierung Jugendarbeit international“ den Jahresauftakt, nicht nur in der Kooperation zwischen JUGEND für Europa und IJAB als Veranstalter, sondern auch für die engagierte Community von Fachkräften, Pädagog*innen und weiteren Akteur*innen mit Interesse an der europäischen und internationalen Jugendarbeit und -forschung.

59 Fachkräfte aus Praxis und Wissenschaft diskutierten über aktuelle Entwicklungen und Themen im Arbeitsfeld. Alle Ebenen und Strukturen waren vertreten: von der kommunalen Jugendarbeit über die (offene) Jugendverbandsarbeit auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene bis hin zur Jugendbildung und -forschung.

Rita Bergstein von JUGEND für Europa und Kerstin Giebel von IJAB eröffneten das Barcamp. Beide unterstrichen, dass „Youth work“ unter den aktuellen pandemiebedingten Umständen allen Beteiligten viel Kraft und Energie koste. Alle Ebenen und Akteure in Deutschland seien davon hart betroffen; in anderen europäischen Ländern sei die Problematik häufig noch viel existenzieller. Die daraus resultierende Fragilität in der internationalen Zusammenarbeit in allen Formaten und Bereichen sei mit Händen zu greifen. Neben der Frage, mit welchen strukturellen Herausforderungen sich die Partner in allen Ländern konfrontiert sähen, sei aber die pandemiebedingte Situation junger Menschen, die Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen, vor allem aber psychischen Situation, die größte Herausforderung.

Giebel warf einen Blick auf die Ergebnisse aus der Veranstaltung von 2021 und betonte, dass viele der Themen, die vor 12 Monaten auf der Tagesordnung standen, erfolgreich vorangetrieben werden konnten. Dazu gehörte vor allem die Entwicklung digitaler bzw. hybrider Formate und deren Implementierung in das Arbeitsfeld, wie bspw. die Neuauflage des MOOC "Internationale Begegnungen organisieren", der Relaunch der Online-Plattform i-EVAL, die Labor-Reihe DIY² und die Sondierungsveranstaltung von IJAB und JUGEND für Europa zur Entwicklung von Qualitätsstandards für digitale Formate in der Internationalen Jugendarbeit. Auch bei der Anerkennung von Schlüsselkompetenzen, der Internationalisierung bzw. Europäisierung der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Initiierung der Jugendkampagne Bravel habe man Fortschritte gemacht, die maßgeblich durch das Mitwirken von Fachkräften aus dem Trägerspektrum zustande kamen.

Europäische Forschungsergebnisse beleuchten Situation der Jugendarbeit

Zu Beginn stellte der Jugendforscher Andreas Karsten den Teilnehmer*innen das Forschungsprojekt RAY COR des RAY-Netzwerkes und einige Ergebnisse vor. Das Ziel der Studie ist es, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Jugendarbeit in Europa, einschließlich der europäischen Jugendprogramme, und deren Reaktion darauf zu dokumentieren und zu analysieren.

RAY steht für „Research-based analysis of European youth programmes“; im RAY-Netzwerk vertreten sind 32 Nationale Agenturen der EU-Jugendprogramme und ihre Forschungspartner*innen.

Aus Sicht der Jugendarbeit überrasche es, so die Forschung, dass trotz des kritischen Einflusses der Pandemie auf die geistige Gesundheit junger Menschen so gut wie keine politischen Ansätze zum Thema entwickelt werden. Offensichtlich sei, dass die Pandemie Jugendarbeit bis ins Mark erschüttert habe und die finanziellen Auswirkungen der Krise hart seien. Dringend müsse mehr und bessere Unterstützung für Jugendarbeit gewährleistet werden.

Erfreulich dagegen sei, dass Jugendarbeit und junge Menschen sich gegenseitig durch die Krise helfen. Dem gegenüber sei jedoch besorgniserregend, dass benachteiligte Jugendliche oft unerreichbar werden. Ernüchternd sei auch, dass Jugendliche sich in Medien und Politik zu oft nicht wiederfänden. Ermutigend sei aber, so Karsten, dass diejenigen jungen Menschen, die weiterhin Zugang zu Jugendarbeit haben, sich stärker in und für Jugendarbeit engagieren.

Aus Sicht der Jugendpolitik gebe es eher bedenkliche Einsichten zu berichten. So komme Jugend(arbeit) in den nationalen Wiederaufbau- und Resilienzplänen nicht genug vor. Darum rüttele die Forschung auf, weil die Potenziale dieser Reaktionspläne für Jugend(arbeit) ohne massive Lobbyarbeit „vom Winde verweht“ würden.

Mehr Informationen zur Studie RAY COR

Einblicke und Anregungen

Ganz im Sinne der Barcamp-Intention als offene Tagung mit offenen Workshops hatten einzelne Teilnehmende bereits vor der Veranstaltung ein für sie relevantes Session-Thema eingereicht, andere wiederum brachten diese spontan auf das Tableau. Schließlich wurden neun Themen im Rahmen der Veranstaltung vorgestellt und diskutiert.

  1. Inklusion und Diversität in der Internationalen Jugendarbeit
    Eine inklusivere internationale Jugendarbeit bereichert alle und bietet große Lernchancen. Trotzdem ist es ein langer - und manchmal mühevoller - Prozess. In dieser gemeinsamen Session von JUGEND für Europa und IJAB wurden hilfreiche Tools präsentiert, Erfahrungen ausgetauscht und Bedarfe mit den Teilnehmer*innen diskutiert.

  2. Fokus Kompetenz
    Das Projekt "Fokus Kompetenz“ von JUGEND für Europa zielt darauf ab, die Ausbildung und Anerkennung von Fachkräften in der Jugendarbeit zu stärken. Hierbei sollen die Potenziale des Kompetenzmodells für international tätige Fachkräfte der Jugendarbeit stärker genutzt werden. Ziel wird es sein, vor allem zielgruppengerechte Angebote zu erarbeiten und damit Effekte bei einzelnen Fachkräften, Organisationen, die Fachkräfte ausbilden, und in den Ausbildungscurricula zu erreichen.

  3. Qualitätsentwicklung in der Internationalen Jugendarbeit
    Ein Trägerbündnis aus Thüringen hat in einem breit angelegten Prozess Qualitätskriterien für Formate der Internationalen Jugendarbeit entwickelt, die im vergangenen Jahr vom Landesjugendhilfeausschuss verabschiedet wurden. Das Dokument basiert wesentlich auf dem von IJAB trägerübergreifend erarbeiteten und 2005 veröffentlichten Kriterienkatalog; dieser wurde auf aktuelle Erfordernisse angepasst und um Aspekte, wie Inklusion, digitale Formate etc. erweitert. Die Sessionteilnehmer*innen diskutierten, inwiefern das Qualitätstool in Zukunft zur Unterstützung für Träger in Thüringen dienen und zum Ausbau der Angebote von Internationaler Jugendarbeit beitragen kann.

  4. Durchführung von Präsenzbegegnungen in Zeiten von Corona
    Mit dieser Session wollten Vertreter*innen der Solijugend andere Träger und Akteure der internationalen Jugendarbeit ermutigen, wieder verstärkt Präsenzbegegnungen durchzuführen. Vorgestellt wurden Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Partnern in Russland und Tunesien aus dem vergangenen Jahr. Dabei wurden die Herausforderungen der jeweiligen Begegnungen herausgearbeitet und dargestellt, welche Wirkung ein Präsenztreffen nicht nur nach außen, sondern auch nach innen für einen Verband haben kann und welche neuen Projekte sich daraus herauskristallisieren.

  5. bravel – Die Jugendkampagne für den internationalen Jugendaustausch
    Eine Vielzahl junger Menschen macht keine Austauscherfahrungen. Oftmals fehlen diesen Jugendlichen schlichtweg Informationen oder es existieren falsche Wahrnehmungen, die sie daran hindern, an einem Austausch teilzunehmen. Die bravel-Jugendkampagne möchte das gerne ändern und zeigt auf, welche Austauschmöglichkeiten es gibt, und dass ein Austausch nicht unbedingt teuer und mit Vorkenntnissen verknüpft sein muss. Neue Partner sind von daher herzlich willkommen!

  6. Internationalisierung der Kinder- & Jugendhilfe - ist das möglich? Beispiel Fachkräfteinitiative.international
    Unter dem Dach der Fachkräfteinitiative.international (Kooperationsprojekt von IJAB und Universität Hildesheim) agieren 26 Projekte aus ganz Deutschland. Sie alle eint das Ziel, die eigenen Strukturen internationaler bzw. europäischer aufzustellen. Die Session diente zum einen dem Austausch über Methoden, Ansätze, Fallstricke etc.; gleichzeitig möchten die Träger des Projekts neue Türen in der Trägerlandschaft öffnen: Come in and find out! Unterstützer*innen und Nachahmer*innen gesucht!

  7. Internationale Städtepartnerschaften
    Auf Anregung des Kinder- und Jugendrings Nordwestmecklenburg wurde diskutiert, wie es gelingen kann, die Jugend als Zielgruppe stärker in die Planung und Umsetzung von internationalen Städtepartnerschaften einzubinden. Die Kunst liege sowohl in der Nutzung bestehender Strukturen als auch der Ansprache/Mitnahme geeigneter Akteure und Netzwerke (Landesjugendring, Schulsozialarbeit, Jugendverbände). Und schließlich seien kommunale und überregionale Events ein guter Anlaufpunkt, um das Thema vorzutragen und neue Partnerschaften zu knüpfen. Nicht zu vergessen, Jugendliche selbst ins Boot zu holen und für sich sprechen zu lassen.

  8. Die Lernprozessgestaltung im Rahmen der DFJW-Zertifizierung für Teamer*innen in internationalen Jugendbegegnungen
    Katharina Barth und Lucile Poulteau vom Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) stellten sehr anschaulich das Ausbildungskonzept für interkulturelle Teamer*innen inkl. bisheriger Erfahrungen dar. Es basiert auf den Prinzipien des non-formalen Lernens: Freiwilligkeit, Transparenz, Vertraulichkeit und Beteiligung. Zielgruppen sind Teamer*innen von internationalen Begegnungen, Gruppendolmetscher*innen und Sprachanimateure. Die Zertifizierung versteht sich als pädagogisch begleiteter Lernprozess, ausgelöst durch die Wechselwirkung von Selbst- und Fremdeinschätzung. Die Inputgeber*innen ermutigen Träger, das Konzept in den eigenen Reihen anzuwenden und von der DFJW-Teamer*innen-Datenbank Gebrauch zu machen.

  9. Qualifizierung und Kooperation zwischen unterschiedlichen Sektoren (formale und non-formale) und Stufen
    Prof. Dr. Anatoli Rakhkochkine von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg griff mit der Session das Anliegen zur verstärkten Kooperation von Jugendarbeit und Hochschule aus dem Barcamp 2021 auf und warb für die Einreichung von Beiträgen für die Tagung „Auf dem Weg zu einem Qualifikationsrahmen für internationale Bildung“ (18.–19. Mai 2022). Im Mittelpunkt stehen theoretische und empirische Forschungsergebnisse zur Professionalisierung auf unterschiedlichen Stufen und in unterschiedlichen Sektoren der internationalen Bildung sowie Fragen der Entwicklung und Evaluation von Qualifizierungsangeboten, Zertifizierungen und Anerkennung von Qualifikationen auf diesem Gebiet. Gesucht werden Beiträge zu den o.g. Bereichen aus Wissenschaft und Praxis.

Eindrücke und Ausblicke

Die Teilnehmer*innen waren sich einig, dass das Barcamp-Format „Fachkräftequalifizierung Jugendarbeit international“ einen informativen und anregenden Jahreseinstieg in die fachliche Arbeit bietet. Impulse gab es insbesondere zum Thema „Schulabbrecher*innen“, da deren Zahl pandemiebedingt stark ansteigt und daher mehr in den Fokus der Jugendarbeit rücken muss.

Neben allen schwierigen und vor allem für junge Menschen belastenden Auswirkungen hätte Corona, so äußerten sich einige der Anwesenden, auch dazu geführt, dass man mehr experimentiert habe, mit Formaten, Methoden, aber eben auch in Beteiligungsformen für junge Menschen. Dies gelte es im Blick zu behalten und produktiv auszubauen, wenn es denn hoffentlich bald um die Frage gehe, wie ein Post-Corona-Prozess fachlich und politisch gestaltet werden könne.

In ihrem Abschlussplädoyer dankten die Veranstalter allen Beteiligten und ermutigten sie, an den Themen weiter zu arbeiten, um sich hoffentlich im Januar 2023 bei einem realen Barcamp wiederzusehen. Eine Dokumentation zur Tagung wird in den nächsten Wochen erstellt.

Das Barcamp ist Bestandteil der Initiative „Runder Tisch Fachkräftequalifizierung Jugendarbeit international“ und findet seit 2018 einmal jährlich statt. Das Format wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Eine Gruppe von Menschen steht in einem Raum und diskutiert.
Jahrestagung „Fachkräfte im Blick”

Die Jahrestagung „Fachkräfte im Blick” ist ein trägerübergreifendes Angebot von IJAB und JUGEND für Europa. Es zielt darauf, die Mobilität von Fachkräften zu stärken und einen Beitrag zur Kompetenzentwicklung dieser Berufsgruppe in Deutschland und Europa zu leisten.

Vier Uhren mit unterschiedlichen Uhrzeiten
Über die Internationalisierung

Die Kinder- und Jugendhilfe mit ihren Fachkräften und Strukturen muss sich auf die wachsende Bedeutung grenzüberschreitender Lernerfahrungen einstellen.

Skulptur 'Body of Knowledge' auf dem Campus Westend der Goethe-Universität in Frankfurt/Main
Über die Fachkräfteinitiative.International

Die Fachkräfteinitiative.International unterstützt Fachkräfte und Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe dabei, ihre interkulturellen und internationalen Kompetenzen zu stärken. Jugendliche werden aktiv in diesen Prozess eingebunden.

Ansprechpartnerin
Kerstin Giebel
Koordinatorin
Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit
Tel.: Tel.: 0228 9506-223