Blick aus einer Gruppe von einer oberen Halfpipekante in eine große Skaterhalle. In der Mitte der Halle stehen weitere Personen. Eine davon hält der Gruppe einen Vortrag. Blick aus einer Gruppe von einer oberen Halfpipekante in eine große Skaterhalle. In der Mitte der Halle stehen weitere Personen. Eine davon hält der Gruppe einen Vortrag.
Kommune goes International

Europäisch denken, lokal handeln

„Europe goes local“ in Stockholm

Das europäische Netzwerk zur Stärkung lokaler Jugendarbeit nimmt in Stockholm weiter Kontur an. Zwei kommunale Fachkräfte – Mitglieder des Netzwerks „Kommune goes international“ –, ein Vertreter der Bundesländer, IJAB und JUGEND für Europa waren als deutsche Delegation vor Ort.

19.07.2023 / Roman Thieltges

Dass europäische Köpfe und lokale Praktiker*innen zwei verschiedene Sprachen sprächen, ist ein oft zu hörendes Klagen. Im Bereich der Internationalen Jugendarbeit ist es nicht anders. Dieses Problem steht im Fokus des strategischen Kooperationsprojekts „Europe goes local (EGL)“ der europäischen Jugendarbeitsgemeinschaft, versammelt um die Erasmus+-nationalen Agenturen im Bereich Erasmus+ Jugend. Zum fünften Mal traf sich dieses Netzwerk aus weit über hundert Expert*innen, vom 22. bis 25. Mai, um den Prozess der Stärkung lokaler Jugendarbeit voranzutreiben. Zu Gast waren sie dieses Mal in der schwedischen Hauptstadt Stockholm.

Europäische Finanzierung und lokaler Bedarf nicht im Einklang

Das Angebot von europäischer Ebene an die Jugendarbeit ist groß, und zwar weit über die etablierten Erasmus+-Angebote – internationale Jugendbegegnungen, Freiwilligendienst usw. – hinaus. Auch nicht-internationale Jugendarbeit ist oft förderfähig. Dennoch bleiben viele europäische Fördertöpfe regelmäßig ungenutzt, während gleichzeitig lokale Jugendarbeit einen harten Ressourcenwettkampf zu führen hat. Was widersinnig klingt, lässt sich im Ansatz aus sich selbst heraus erklären und war ein zentrales Thema in Stockholm.

Fachkräfte auf lokaler Ebene bezeugten, selbst wenn sie in ihrer Arbeit die europäische Ebene mitdenken oder grundsätzlich dafür offen sind, hohe Hüden für den Zugang zu europäischen Finanztöpfen und strukturellen Unterstützungsangeboten:

So scheitert die Inanspruchnahme europäischer Fördermittel daher oft bereits im Ansatz. Mit zusätzlichen Personalressourcen in Jugendämtern, bei Vereinen und anderen lokalen Trägern ließe sich dies ändern. Mit der Frage nach mehr Ressourcen beißt die Branche oft jedoch auf politischen Granit. Die Frage muss daher lauten: Kann dem Problem auch anders Abhilfe geschaffen werden?

Europe goes local erarbeitet Instrumente und Argumente

Ein Ansatz ist, lokale Jugendarbeit durch konzeptionelle und strategische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zu stärken. Dazu hat sich erstmals 2015 die Gemeinschaft der praktizierenden Jugendarbeit versammelt und das Kooperationsprojekt Europe goes local ins Leben gerufen. Es steht heute im Einklang mit dem Bonn-Prozess. Ziel ist neben anderem eine Qualitätssteigerung von Jugendarbeit in den lokalen Räumen Europas, darüber hinaus aber auch die Befähigung der äußerst facettenreichen, aber kleinteilig aufgebauten Landschaft, mit einheitlicher Stimme für sich argumentieren zu können, insgesamt also eine Stärkung der lokalen Jugendarbeit durch gemeinsame konzeptuelle Weiterentwicklung.

Daraus entstanden ist unter anderem die Europäische Charta zu lokaler Jugendarbeit (PDF: 1,5 MB), „eine Art Checkliste, auf deren Basis die verschiedenen Akteure Maßnahmen zur Weiterentwicklung von Jugendarbeit zusammenstellen und diskutieren können“[1]. Das Besondere daran: die Charta ist kein politisches, kein bindendes Dokument, das lokale Akteure zu entsprechendem Handeln verpflichtet. Die Charta versammelt stattdessen Ziele, Qualitätskriterien und Empfehlungen für die lokale Jugendarbeit. Mit diesem Dokument wurde 2021 ein entscheidender Schritt getan, um gemeinsame Qualitätsstandards zu entwickeln. Von Praktiker*innen entwickelt, kann dieses Dokument von allen Fachkräften der Jugendarbeit in Europa frei genutzt werden. Mit ihm kann die Wirkung von Jugendarbeit und die fachliche Güte in diesem Bereich dargelegt werden. Es stellt so nicht zuletzt ein wichtiges Argumentationswerkzeug im Dialog mit politischen Entscheider*innen dar.[2]

IJAB beteiligt sich mit Kommune goes International

Für IJAB ist die Stärkung der Internationalen Jugendarbeit auf lokaler Ebene ebenfalls ein zentrales Anliegen. Mit Kommune goes International[3] verfolgt die bundeszentrale Fachstelle ein ähnliches Ziel. IJAB koordiniert ein Netzwerk von über 30 Kommunen, die gemeinsam vorangehen und ihre lokale Internationale Jugendarbeit stärken möchten. Durch die Zusammenarbeit von IJAB und JUGEND für Europa – der Nationalagentur, die von deutscher Seite aus in den Prozess von Europe goes local eingebunden ist – konnte zwei Mitgliedern des Netzwerks die Teilnahme an der Stockholmer Konferenz ermöglicht werden. Gemeinsam mit je einem Vertreter von IJAB und JUGEND für Europa sowie, vertretend für die Bundesländer, einem Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Landesjugendamtes bildeten die beiden Fachkräfte aus Braunschweig und Köln die deutsche Delegation. Ihnen bot sich in Stockholm eine attraktive Gelegenheit zur Vernetzung mit neuen Partnern, zum Wissensaustausch und um an der Weiterentwicklung von Europe goes local mitzuwirken.

Nils Holm, von der Jugendförderung Braunschweig: „Die 5. EGL-Konferenz war für mich eine beeindruckende Erfahrung. Die Möglichkeit, Kolleg*innen aus ganz Europa zu treffen und einen wertvollen Einblick in die Vielfalt europäischer Jugendarbeit zu gewinnen, war sehr inspirierend. Während der Konferenz hatte ich die Gelegenheit, potenzielle Partner*innen für zukünftige Kooperationen kennenzulernen. Die Vernetzungsmöglichkeiten waren umfangreich und ich bin zuversichtlich, dass diese Verbindungen in der Zukunft zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führt. Ich bin dankbar für diese Gelegenheit und freue mich bereits darauf, künftig weitere solcher Veranstaltungen zu besuchen.“

Austausch der verschiedenen Ebenen und Interessensgruppen

In Stockholm waren über 170 Gesprächspartner*innen aus allen Interessengruppen der Jugendarbeit vertreten: Mitarbeiter*innen kleiner privater Vereine, Referent*innen zentraler staatlicher Einrichtungen, junge Menschen, Wissenschaftler*innen, Ehrenamtliche usw. und das aus zahlreichen Regionen und Kommunen Europas.

Für den Austausch der Teilnehmenden hatten die Gastgeber ausreichend Raum und Zeit vorgesehen, unter anderem in strukturierten Gesprächsrunden. Denn Ziel war nicht nur die formlose Vernetzung, sondern das Finden von Ideen, Ansätzen, Antworten auf die Frage, wie das Zusammenspiel der unterschiedlichen Handelnden im Feld sinnvoll verbessert und wie auf lokaler Ebene die gemeinsam in Europe goes local erarbeiteten Werkzeuge zur Qualitätsentwicklung besser Anwendung finden und ihr Nutzen gesteigert werden können. In unterschiedlich zusammengesetzten Gesprächsrunden fanden sich so unter anderem die nationalen Dachorganisationen miteinander zusammen, aber auch die verschiedenen Erasmus+-Nationalagenturen, Gruppen der Ortskräfte, die nationalen Delegationen und so weiter. Die Vielseitigkeit der Gespräche, die sich aus dieser wechselnden Zusammensetzung der Gesprächsrunden ergab, fand großen Zuspruch, denn sie bot fortlaufenden Perspektivwechsel für die zentralen Fragenstellungen.

Als Gesprächsanreize für die verschiedenen Runden dienten Vorträge, Plenardebatten und online zur Verfügung gestellte Leitfragen. Berichte zur Zusammenarbeit europäischer und lokaler Akteure auf nationaler Ebene ergänzten das Bild um konkrete Beispiele guter Praxis. Vortragende aus Slowenien, Kroatien und Finnland stellten beispielsweise dar, welche positiven Effekte offizielle Zertifikate für Kommunen (z.B. „youth friendly municipality“) oder auch an Fachkräfte, Ehrenamtliche usw. vergebene Titel (z.B. „Europe goes local Charter Ambassador“) bewirken und damit eine erhebliche Aufwertung für die Jugendarbeit darstellen.

Ein Besuch in einem außergewöhnlich großen Jugendzentrum, dem Fryshuset [4], demonstrierte zudem eindrücklich, welchen Erfolg Jugendarbeit haben kann, wenn die Teilhabenden an dieser Aufgabe gemeinsam, engagiert und mit Kontinuität über Jahrzehnte die richtigen Hebel in Bewegung zu setzen wissen.

Eindrücke aus dem Fryshuset

Haupteingang des Fryshuset
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Ein Barbereich im Fryshuset
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Interkonfessionelles Fenster in einer der Sporthallen des Fryshuset
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Eine von zwei Skaterhallen im Fryshuset
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Bedarfe lokaler Akteure sollten stets Ausgangspunkt sein

Aus den Gesprächsrunden der dreitägigen Konferenz ergaben sich schließlich einige zentrale Erkenntnisse, allem voran aber eine: Mit dem Bonn-Prozess ist ein potenziell wirkmächtiges Instrumentarium zur strategischen Zusammenarbeit und qualitativen Weiterentwicklung der Jugendarbeit in Europa geschaffen worden, das in starken Projekten wie Europe goes local eine zunehmende Übersetzung in die Praxis findet. In den vergangenen Jahren wurden so unter inklusiver Beteiligung staatlicher, privater und zivilgesellschaftlicher Interessengruppen bereits zentrale Werkzeuge geschaffen, die europäisch, national, regional und lokal verwendet werden können.

Die größte Herausforderung aktuell besteht indes unverändert darin, vertikalen (europäisch – national – regional – lokal) und horizontalen (z.B. zwischen lokalen Akteuren in verschiedenen Staaten oder Regionen) Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren weiter auf- und auszubauen. In der vertikalen Kommunikation sollte der Ansatz dabei in erster Linie von unten erfolgen. Das heißt, dass der Blick zentraler Strukturen bei der Entwicklung von neuen gemeinsamen Standards, Werkzeugen usw. stets auf die Bedarfe der jungen Menschen und der Fachkräfte vor Ort eine Antwort geben muss, statt umgekehrt Strukturen zu entwickeln, die dann auf lokaler Ebene umgesetzt werden sollen. Wie mehr oder weniger uneingeschränkt dies funktionieren kann, hängt dabei stark von bereits existierenden Strukturen ab, die z.B. in der Bundesrepublik Deutschland stärker, in Finnland weniger feste Bahnen und Handlungsspielräume definieren. Diese können neue Initiativen beschränken oder ihnen Wege ebnen.

Horizontal erreichen die Akteure der Jugendarbeit eine Qualitätssteigerung und gesteigerte Anerkennung der eigenen Arbeit durch gemeinsames Handeln. Dazu gehören das aktive Engagement der Ortskräfte in Netzwerken wie Kommune goes Internationaloder Europe goes local. Dazu gehört aber auch, Europa neben der nationalen, regionalen und kommunalen Ebene als Standard der Ressourcengewinnung begreifen zu lernen, und das nicht nur auf der praktizierenden Ebene, sondern auch bei politischen Entscheidungsträger*innen.

Dies gilt insbesondere auch für die Internationale Jugendarbeit als Teil der Kinder- und Jugendhilfe in kommunaler Verantwortung. Mit einer intensiveren Nutzung der europäischen Dimension und des umfangreichen dort vorhandenen Angebots ließe sich das Angebot für alle jungen Menschen im Ort erheblich ausbauen. Die recht geringe Weite des europäischen Kontinents und seine gleichzeitige kulturelle Unterschiedlichkeit können und sollten als Chance begriffen werden.
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[1] Europäische Charta zu lokaler Jugendarbeit, 15.03.2021, S. 2.

[2] Ein weiteres Instrument, das Europe goes local entwickelt hat, ist das Changemakers Kit.

[3] In Zusammenarbeit mit der Erasmus+-Nationalagentur JUGEND für Europa, dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

[4] Die gleichnamige gemeinnützige schwedische Jugendorganisation betreibt im über 40. Jahr ihres Bestehens mittlerweile zwanzig physische und digitale Orte in Schweden sowie darüber hinaus Projekte in den Niederlanden, in Lettland, Griechenland, dem Senegal, Kenia, Brasilien und Armenien.

Über das Netzwerk Kommune goes International

Das Netzwerk Kommune goes international (KGI) ist die Anlaufstelle für Kommunen, die gezielt Angebote Internationaler Jugendarbeit lokal aus- und aufbauen möchten. Erfahren sie mehr darüber!

Ansprechperson
Roman Thieltges
Referent für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-111