Dass europäische Köpfe und lokale Praktiker*innen zwei verschiedene Sprachen sprächen, ist ein oft zu hörendes Klagen. Im Bereich der Internationalen Jugendarbeit ist es nicht anders. Dieses Problem steht im Fokus des strategischen Kooperationsprojekts „Europe goes local (EGL)“ der europäischen Jugendarbeitsgemeinschaft, versammelt um die Erasmus+-nationalen Agenturen im Bereich Erasmus+ Jugend. Zum fünften Mal traf sich dieses Netzwerk aus weit über hundert Expert*innen, vom 22. bis 25. Mai, um den Prozess der Stärkung lokaler Jugendarbeit voranzutreiben. Zu Gast waren sie dieses Mal in der schwedischen Hauptstadt Stockholm.
Europäische Finanzierung und lokaler Bedarf nicht im Einklang
Das Angebot von europäischer Ebene an die Jugendarbeit ist groß, und zwar weit über die etablierten Erasmus+-Angebote – internationale Jugendbegegnungen, Freiwilligendienst usw. – hinaus. Auch nicht-internationale Jugendarbeit ist oft förderfähig. Dennoch bleiben viele europäische Fördertöpfe regelmäßig ungenutzt, während gleichzeitig lokale Jugendarbeit einen harten Ressourcenwettkampf zu führen hat. Was widersinnig klingt, lässt sich im Ansatz aus sich selbst heraus erklären und war ein zentrales Thema in Stockholm.
Fachkräfte auf lokaler Ebene bezeugten, selbst wenn sie in ihrer Arbeit die europäische Ebene mitdenken oder grundsätzlich dafür offen sind, hohe Hüden für den Zugang zu europäischen Finanztöpfen und strukturellen Unterstützungsangeboten:
- fehlende Übersetzung von Fachtexten in die Muttersprache,
- Förderrichtlinien, die sich schwer mit lokalen, regionalen oder nationalen Anforderungen und Spielräumen in Einklang bringen lassen,
- bürokratische Strukturen auf einer zusätzlichen Ebene, die aufwendige Einarbeitung neben der regulären Arbeit in nicht zu erübrigender Zeit erforderlich machten, bei zudem Mängeln in der Vorbereitung durch Studium oder Ausbildung.
So scheitert die Inanspruchnahme europäischer Fördermittel daher oft bereits im Ansatz. Mit zusätzlichen Personalressourcen in Jugendämtern, bei Vereinen und anderen lokalen Trägern ließe sich dies ändern. Mit der Frage nach mehr Ressourcen beißt die Branche oft jedoch auf politischen Granit. Die Frage muss daher lauten: Kann dem Problem auch anders Abhilfe geschaffen werden?
Europe goes local erarbeitet Instrumente und Argumente
Ein Ansatz ist, lokale Jugendarbeit durch konzeptionelle und strategische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zu stärken. Dazu hat sich erstmals 2015 die Gemeinschaft der praktizierenden Jugendarbeit versammelt und das Kooperationsprojekt Europe goes local ins Leben gerufen. Es steht heute im Einklang mit dem Bonn-Prozess. Ziel ist neben anderem eine Qualitätssteigerung von Jugendarbeit in den lokalen Räumen Europas, darüber hinaus aber auch die Befähigung der äußerst facettenreichen, aber kleinteilig aufgebauten Landschaft, mit einheitlicher Stimme für sich argumentieren zu können, insgesamt also eine Stärkung der lokalen Jugendarbeit durch gemeinsame konzeptuelle Weiterentwicklung.
Daraus entstanden ist unter anderem die Europäische Charta zu lokaler Jugendarbeit (PDF: 1,5 MB), „eine Art Checkliste, auf deren Basis die verschiedenen Akteure Maßnahmen zur Weiterentwicklung von Jugendarbeit zusammenstellen und diskutieren können“[1]. Das Besondere daran: die Charta ist kein politisches, kein bindendes Dokument, das lokale Akteure zu entsprechendem Handeln verpflichtet. Die Charta versammelt stattdessen Ziele, Qualitätskriterien und Empfehlungen für die lokale Jugendarbeit. Mit diesem Dokument wurde 2021 ein entscheidender Schritt getan, um gemeinsame Qualitätsstandards zu entwickeln. Von Praktiker*innen entwickelt, kann dieses Dokument von allen Fachkräften der Jugendarbeit in Europa frei genutzt werden. Mit ihm kann die Wirkung von Jugendarbeit und die fachliche Güte in diesem Bereich dargelegt werden. Es stellt so nicht zuletzt ein wichtiges Argumentationswerkzeug im Dialog mit politischen Entscheider*innen dar.[2]
IJAB beteiligt sich mit Kommune goes International
Für IJAB ist die Stärkung der Internationalen Jugendarbeit auf lokaler Ebene ebenfalls ein zentrales Anliegen. Mit Kommune goes International[3] verfolgt die bundeszentrale Fachstelle ein ähnliches Ziel. IJAB koordiniert ein Netzwerk von über 30 Kommunen, die gemeinsam vorangehen und ihre lokale Internationale Jugendarbeit stärken möchten. Durch die Zusammenarbeit von IJAB und JUGEND für Europa – der Nationalagentur, die von deutscher Seite aus in den Prozess von Europe goes local eingebunden ist – konnte zwei Mitgliedern des Netzwerks die Teilnahme an der Stockholmer Konferenz ermöglicht werden. Gemeinsam mit je einem Vertreter von IJAB und JUGEND für Europa sowie, vertretend für die Bundesländer, einem Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Landesjugendamtes bildeten die beiden Fachkräfte aus Braunschweig und Köln die deutsche Delegation. Ihnen bot sich in Stockholm eine attraktive Gelegenheit zur Vernetzung mit neuen Partnern, zum Wissensaustausch und um an der Weiterentwicklung von Europe goes local mitzuwirken.
Nils Holm, von der Jugendförderung Braunschweig: „Die 5. EGL-Konferenz war für mich eine beeindruckende Erfahrung. Die Möglichkeit, Kolleg*innen aus ganz Europa zu treffen und einen wertvollen Einblick in die Vielfalt europäischer Jugendarbeit zu gewinnen, war sehr inspirierend. Während der Konferenz hatte ich die Gelegenheit, potenzielle Partner*innen für zukünftige Kooperationen kennenzulernen. Die Vernetzungsmöglichkeiten waren umfangreich und ich bin zuversichtlich, dass diese Verbindungen in der Zukunft zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führt. Ich bin dankbar für diese Gelegenheit und freue mich bereits darauf, künftig weitere solcher Veranstaltungen zu besuchen.“
Austausch der verschiedenen Ebenen und Interessensgruppen
In Stockholm waren über 170 Gesprächspartner*innen aus allen Interessengruppen der Jugendarbeit vertreten: Mitarbeiter*innen kleiner privater Vereine, Referent*innen zentraler staatlicher Einrichtungen, junge Menschen, Wissenschaftler*innen, Ehrenamtliche usw. und das aus zahlreichen Regionen und Kommunen Europas.
Für den Austausch der Teilnehmenden hatten die Gastgeber ausreichend Raum und Zeit vorgesehen, unter anderem in strukturierten Gesprächsrunden. Denn Ziel war nicht nur die formlose Vernetzung, sondern das Finden von Ideen, Ansätzen, Antworten auf die Frage, wie das Zusammenspiel der unterschiedlichen Handelnden im Feld sinnvoll verbessert und wie auf lokaler Ebene die gemeinsam in Europe goes local erarbeiteten Werkzeuge zur Qualitätsentwicklung besser Anwendung finden und ihr Nutzen gesteigert werden können. In unterschiedlich zusammengesetzten Gesprächsrunden fanden sich so unter anderem die nationalen Dachorganisationen miteinander zusammen, aber auch die verschiedenen Erasmus+-Nationalagenturen, Gruppen der Ortskräfte, die nationalen Delegationen und so weiter. Die Vielseitigkeit der Gespräche, die sich aus dieser wechselnden Zusammensetzung der Gesprächsrunden ergab, fand großen Zuspruch, denn sie bot fortlaufenden Perspektivwechsel für die zentralen Fragenstellungen.
Als Gesprächsanreize für die verschiedenen Runden dienten Vorträge, Plenardebatten und online zur Verfügung gestellte Leitfragen. Berichte zur Zusammenarbeit europäischer und lokaler Akteure auf nationaler Ebene ergänzten das Bild um konkrete Beispiele guter Praxis. Vortragende aus Slowenien, Kroatien und Finnland stellten beispielsweise dar, welche positiven Effekte offizielle Zertifikate für Kommunen (z.B. „youth friendly municipality“) oder auch an Fachkräfte, Ehrenamtliche usw. vergebene Titel (z.B. „Europe goes local Charter Ambassador“) bewirken und damit eine erhebliche Aufwertung für die Jugendarbeit darstellen.
Ein Besuch in einem außergewöhnlich großen Jugendzentrum, dem Fryshuset [4], demonstrierte zudem eindrücklich, welchen Erfolg Jugendarbeit haben kann, wenn die Teilhabenden an dieser Aufgabe gemeinsam, engagiert und mit Kontinuität über Jahrzehnte die richtigen Hebel in Bewegung zu setzen wissen.